1. Die Ausgangslage

Das Europainstitut war für Basel etwas Neues. Im grösseren Europakontext reihte es sich hingegen in eine Entwicklung ein, die bereits um 1950 einsetzte. Europastudien sind als selbständige Nebenprodukte des europäischen Integrationsprojekts entstanden. Sie fokussierten anfänglich vor allem auf die kulturelle Dimension des europäischen Integrationsprozesses und nicht seine rechts-, wirtschafts- oder sozialwissenschaftlichen Dimensionen. Im Nachgang zum Haager Europa-Kongress 1948 wurde 1950 in Brügge/Bruges das Collège d’Europe mit dem niederländischen Romanisten Hendrik Brugmans als erstem Rektor gegründet. Im Kontext der Römischen Verträge von 1957 entstand an der Universität Leiden ein auf Europarecht und Menschenrechte spezialisiertes Institut. 1976 nahm in Florenz das Europäische Hochschulinstitut seinen Betrieb auf und bot ein Doktoratsstudium in folgenden Bereichen an: Geschichts-, Politik‑, Rechts‑, Wirtschafts- und Sozialwissenschaft. In den 1980er Jahren kam das in Maastricht angesiedelte European Institute of Public Administration (EIPA) hinzu. 

Die um 1985 einsetzende Integrationsbeschleunigung in Richtung Binnenmarkt 1992 liess das Interesse an Europastudien weiter anwachsen. Den Anfang machten die Studien zum Europarecht, zunächst mit einzelnen Lehrstühlen, dann mit einzelnen Instituten. Das im Kontext der Abstimmung über den EWR-Beitritt 1992/93 geschaffene Basler Europainstitut gehörte zu den frühen Gründungen solcher Zentren. Das bekannte Sussex European Institute (SEI) wurde ebenfalls 1992 geschaffen.

In der Schweiz gab es dank des Engagements von Denis de Rougemont seit 1950 das Centre Européen de la Culture (CEC) in Genf, das 1963 eine universitäre Anbindung an die Universität erhielt. Nach institutionellen Umbauten firmiert es seit Juli 2013 als Global Studies Institute. In der deutschen Schweiz gab der angestrebte Beitritt zum Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) den Anstoss zur Schaffung weiterer Institute für Europastudien. Erste Initiativen dazu waren noch vor dem Abstimmungstermin vom 6. Dezember 1992 ergriffen worden. Nach der Ablehnung des EWR erfuhr die Auffassung, dass in der Schweiz das Europawissen ausgebaut werden sollte, eine zusätzliche Stärkung. Basel-Stadt und Basel-Landschaft waren die einzigen Kantone der deutschen Schweiz, die zusammen mit der französischen Schweiz für einen EWR-Beitritt gestimmt hatten.

Der Staatsrechtler Heinrich Koller veranlasste in seiner Doppelfunktion als Direktor des Bundesamts für Justiz, Bern, und als Ehrendozent der Juristischen Fakultät der Universität Basel, dass im April 1992 eine „groupe d’action“ mit dem Ziel gebildet wurde, das in Forschung und Lehre bestehende Defizit zum Europarecht abzubauen. Am 1. Juni 1992 wurde ein vom Mustermesse-Generaldirektor Philippe Lévy präsidierter „Verein Europainstitut“ ins Leben gerufen. Daraus entstand in kürzester Zeit ein Förderverein mit etwa 700 Mitgliedern; ihm gehörten zahlreiche bekannte Persönlichkeiten der Region an. Das Europainstitut war also das Geschöpf eines breiten Willens, die akademischen und ideellen Verbindungen zwischen der Schweiz und der Europäischen Gemeinschaft zu stärken.

Die lokalen Bemühungen sind vor dem Hintergrund des gesamtschweizerischen Plans zu sehen, ein eidgenössisches Kompetenzzentrum für Europafragen zu schaffen. Diesem hätte eine Anschubfinanzierung von 40 Mio. Franken zur Verfügung stehen sollen. Das Bundesprojekt löste sich nach dem 6. Dezember 1992 aus drei Gründen schnell in Luft auf. Den wichtigsten Grund bildete der föderalistische Widerstand gegen ein privilegiertes Zentrum; die positive Seite bestand darin, dass alle Universitäten „Leading House“ sein wollten. Der zweite Grund lag im Votum des 6. Dezember selber: Ein Ausbau der Europakompetenz hätte als Missachtung des so genannten Volkswillens verstanden werden können. Nicht ungelegen kam als dritter Grund die Meinung hinzu, auf die angespannte Finanzlage des Bundes Rücksicht nehmen zu müssen.


Über den Autor

Georg Kreis

Prof. Dr. Georg Kreis war von 1993 bis 2011 Leiter des Europainstituts der Universität Basel, wo er auch weiterhin unterrichtet. 2008 wurde er als Professor für Neuere Allgmeine Geschichte und Schweizer Geschichte am Historischen Seminar der Universität Basel emeritiert. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen die Geschichte der europäischen Integration, internationale Beziehungen, Fragen der Identität, Nationalismus sowie die Geschichte des Zweiten Weltkriegs, Genozid, kollektive Erinnerungen und Repräsentationen des Vergangenen.